„Grigia” (1921)

 

Zunächst versuchen die beiden zu entkommen, aber Grigias Mann hat einen großen Felsblock vor den Eingang des Stollens gewälzt. Grigia, von Verzweiflung gepackt, bettelt, jammert und verspricht ihrem Mann alles, um nur aus dem bedrückenden Gefängnis zu kommen. Homo legt sich still auf das gemeinsame Lager zurück, wird immer schwächer und dämmert ein. In einer klaren Minute bemerkt er noch, daß Grigia ihn durch eine schmale Spalte auf der anderen Seite des Stollens verlassen hat. Er selbst besitzt jedoch nicht mehr die Kraft und den Willen, ins Leben zurückzukehren. Zur gleichen Stunde wird von der Bergwerksleitung der Abbruch der Arbeiten beschlossen.

 

„Portugiesin” (1923)

 

Der Raubritter Herr von Ketten hat sich die Portugiesin, seine schöne junge Frau, auf seine einsam-wilde Felsenburg in der Nähe von Trient geholt. Aus dem Kavalier, als der er um sie geworben hatte, ist wieder der raublustige Bandit geworden, der jahraus, jahrein im Sattel sitzt und nur auf einen Tag und eine Nacht im Jahr nach Hause kommt. Seine beiden Kinder kennt er kaum. Die Portugiesin fügt sich in die fremde Ordnung, bleibt ihm aber dabei so geheimnisvoll fremd wie am ersten Tag. Sie ist das ganz Andere in seinem Leben, etwas Zauberhaft-Kostbares. Mit dem Tod seines Erzfeindes, des Bischofs von Trient, verlieren mit einem Schlag die kämpferischen Raubzüge des Herrn von Ketten ihren Sinn. Er wird sterbenskrank. Tagelang bleibt er seiner Burg fern, erst als er sich dem Tode nahe fühlt, begibt er sich in die Pflege seiner Frau. Während seiner Krankheit kommt plötzlich der Jugendfreund der Portugiesin zu Besuch, und von Ketten schämte sich. Elf Jahre hat die Portugiesin auf ihren Herrn gewartet. Der hilflose von Ketten hofft auf ein Wunder und dieses Wunder kommt in Gestalt einer kleinen, räudigen Katze, die an der Pforte Einlaß begehrt, aufgenommen, gepflegt und schließlich, als man ihr Leiden nicht mehr länger mitansehen kann, vom Knecht getötet wird. Alle identifizieren sich auf seltsame Weise mit dem Tier – die Portugiesin, der Jugendfreund und Herr von Ketten. Der Herr von Ketten, der das Schicksal der Katze nicht teilen will, rafft sich eines Tages auf und versucht, seine Kraft und Wildheit wiederzuerlangen, indem er die unersteigliche Felswand unter der Burg hinaufklettert. Er schleicht zum Schlafgemach seiner Frau, in dem er den Liebhaber vermutet, doch der Knecht meldet, daß der Fremde am Morgen fortgeritten sei.

 

„Tonka” (1922)

 

Tonka, das einfache junge Ding aus dem Tuchgeschäft, erwirbt die Zuneigung eines jungen Wissenschaftlers, der seine Studien im Elternhaus betreibt. Auf seinen Zuspruch hin kommt sie als Stütze der Großmutter ins Haus. Ihre rührende Einfalt, Schweigsamkeit und Anhänglichkeit werden zu einem beglückenden Teil seines Lebens, aber sie bedrücken ihn auch: er weiß nie recht, was er von ihr zu halten hat. Als die Großmutter stirbt und Tonka zu ihrer Tante zurückgehen soll, nimmt der Freund sie mit sich in eine andere Stadt. Und weil er glaubte, daß “es” dazugehört, wird Tonka seine Geliebte. Als Tonka nach Jahren des Zusammenlebens ein Kind erwartet, glaubt er genau zu wissen, daß die Empfängnis in eine Zeit seiner Abwesenheit gefallen ist, obgleich sonst alles für Tonkas beteuerte Unschuld spricht. So schwankt er während der Zeit ihrer Schwangerschaft und der sie begleitenden schleichenden Krankheit zwischen Zweifel und Glauben. Obwohl von außen alles getan wird, um das ungleiche Paar zu trennen, kann er das Band, das ihn an Tonka fesselt, weder lösen noch fester knüpfen. Tonka wird immer hinfälliger, nach der Geburt stirbt sie mit ihrem Kind und nimmt ihr Geheimnis mit sich.

Die Begegnungen mit dem Fremden haben in vielen Werken Musils eine wichtige Rolle. So auch in dem Novellenzyklus “Drei Frauen”. Die Gegensätze in diesem Werk hat Musil in der “Skizze zur Erkenntnis des Dichters” bearbeitet: Es gibt die Begriffe des “Ratioiden” (Vernünftigen) und des “Nicht-Ratioiden”, die er neu zu umschreiben versucht. Diese Gegenüberstellung deckt sich mit der von Männlichkeit und Weiblichkeit. Die Frauenfiguren, die den drei Novellen den Titel geben, repräsentieren das “Nicht-Ratioide” in unterschiedlichen Varianten.

 

In der Figur der “Grigia” wird dabei der Bereich des Naturhaften und Erotischen behandelt, in der Figur der “Protugiesin” die Nähe zum Meer und zum Süden; in “Tonka” die unbürgerliche Einfachheit.

Alle drei Frauen verkörpern eine in den männlichen Protagonisten unterentwickelte, “andere” Seite, in ihrer Untreue entziehen sie sich männlichen Besitzansprüchen und stellen diese in Frage.

Biografien.org./Hannes Dollinger